LDL-C-Zielwerterreichung bei kardiovaskulären Hochrisikopatientinnen und -patienten muss der Standard werden

Schon über 16 Städte und Regionen haben sich der mit „Jena auf Ziel“ im Dezember 2020 begonnenen und seitdem bundesweit ausgerollten „Auf Ziel“-Kampagne der DGFF (Lipid-Liga) angeschlossen und die interdisziplinäre und intersektorale Vernetzung entweder gestartet oder intensiviert. Und es werden immer mehr.

2023 zündet die DGFF (Lipid-Liga) die nächste Stufe ihrer Initiative und startet eine randomisierte prospektive Multi-Center-Studie „Deutschland auf Ziel“. In Kooperation mit den Kardiologischen Kliniken und Lipidambulanzen mehrerer Universitätskliniken im Bundesgebiet soll untersucht werden, ob Patientinnen und Patienten nach einem Herzinfarkt schneller eine 50-prozentige LDL-C-Senkung und ihren LDL-C-Zielwert von <1,4 mmol/l (< 55 mg/dl) erreichen und halten, wenn ein cloud-basiertes Programm sie zusätzlich begleitet und sie einen elektronischen „Auf Ziel“-Lipidpass führen. Schnelligkeit ist wichtig, da Patientinnen und Patienten nach einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI), der häufigsten Art eines Herzinfarktes hierzulande, oder einem Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) ein sehr hohes kardiovaskuläres Risiko haben: Jeder Fünfte muss im Folgejahr, also kurzfristig, mit einem erneuten Ereignis rech­nen.

Alle in die Studie eingeschlossenen Patientinnen und Patienten werden unverzüglich nach der Akutversorgung über kardiovaskuläre Risikofaktoren, insbesondere die Bedeutung des LDL-C bei der Entwicklung der Atherosklerose sowie der Notwendigkeit der LDL-C-Zielwerterreichung aufgeklärt und erhalten eine Therapie mit einem potenten Statin, mit der sie möglichst noch während des stationären Aufenthalts den LDL-C-Zielwert erreichen.

Während der Studienlaufzeit von zwei Jahren werden die in die Interventionsgruppe eingeteilten Patientinnen und Patienten via e-Nachrichten wiederholt angesprochen. Das Lipidprofil wird am Tag der Aufnahme in die Klinik bis hin zur Entlassung und anschließend in definierten Zeitabständen dokumentiert. Bei Nichterreichen der Zielwerte wird die lipidsenkende Therapie z. B. durch den Einsatz von Ezetimib, Bempedoinsäure und PCSK9-Hemmern eskaliert. Durch die enge Anbindung und das Patienten-Empowerment sollen alle Patientinnen und Patienten so schnell wie möglich „auf Ziel“ gebracht werden. Die Studie vergleicht dann deren Zielwerterreichung mit der der sogenannten Kontrollgruppe, die aus den Patientinnen und Patienten besteht, die nach Aufklärung und Entlassung aus der Klinik mit entsprechendem Arztbrief eine Standardversorgung erhalten.

Bewährt sich das elektronische Datenerhebungssystem und verbessert das Erreichen und Halten der LDL-C-Zielwerte, soll es im nächsten Schritt zu einer App für Patientinnen und Patienten ausgebaut werden. Über eine App-Funktion soll dann auch jede und jeder ihre bzw. seine eigenen Daten dokumentieren und im Verlauf verfolgen können.

Warum eine Kampagne, warum eine Studie?

Erschütternd ist, dass laut der Da Vinci Studie in Deutschland nur 16 % der Patientinnen und Patienten in der sekundären Prävention ihren LDL-C-Zielwert erreichen. Diese Größenordnung bestätigten auch schwedische Registerdaten. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland damit auf einem der hinteren Plätze. Ferner zeigt die Studie für 18 europäische Länder, dass nur 36,7 Prozent der kardiovaskulären Hochrisikopatientinnen und -patienten mit einem hochpotenten Statin und nur 9 Prozent mit einer Kombination aus Statin plus Ezetimib behandelt werden.

Warum aber ist die Versorgung so schlecht? An den Kosten kann es nicht liegen, denn mit dem Einsatz generischer Lipidsenker – einem hochpotenten Statin plus Ezetimib – und Empowerment hat „Jena auf Ziel“ gezeigt, dass bis zu 80 Prozent der STEMI-Patientinnen und -Patienten ihren Zielwert erreichen können. Erfolgt eine Eskalation der Therapie mit Bempedoinsäure oder einem PCSK9-Hemmer, können sogar alle ins Ziel gelangen. Diese Ergebnisse ergab auch eine Hochrechnung von schwedischen Registerdaten.

Auch an den wissenschaftlichen Belegen dürfte es keine Zweifel geben, denn dass ohne LDL-Cholesterin keine Atherosklerose entsteht, formulierte schon Nikolai Anitschkow in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und seitdem ist gut belegt, dass eine frühe und effektive LDL-C-Senkung die Gefäßgesundheit fördern und das kardiovaskuläre Risiko senken. Schon vor fast 20 Jahren zeigten C. P. Cannon, E. Braunwald et al eine klare Assoziation zwischen intensiver lipidsenkender Therapie und einer Verbesserung des kardiovaskulären Risikos von Patientinnen und Patienten nach einem akuten Koronarsyndrom. Was die LDL-C-Senkung speziell nach einem Herzinfarkt angeht, so häufen sich aktuell die Belege, dass eine unverzügliche Statintherapie große Vorteile bringt (s. Krychtiuk et al 2022 und Kytö et al 2022).

Bei „Jena auf Ziel“ wurde gezeigt, dass sich mit einer Kombinationstherapie mit 80 mg Atorvastatin plus 10 mg Ezetimib in sechs Wochen eine LDL-C-Senkung um 2 mmol/l (80 mg/dl) erreichen lässt. Legt man wiederum die Ergebnisse einer schwedischen Kohortenstudie zugrunde, lässt sich errechnen, dass dadurch die Gesamtsterblichkeit um mehr als 65 Prozent reduziert, die Hospitalisierung für Herzinsuffizienz ebenfalls über 65 Prozent gesenkt sowie das Risiko für Re-Infarkte um mehr als 60 Prozent vermindert werden könnte. Damit ist die LDL-C-Senkung die eindeutig wirkungsvollste Therapie in der Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen.

Wichtig ist aber nicht nur eine potente lipidsenkende Therapie, sondern sie muss auch schnell, d. h. möglichst direkt nach der Akutversorgung der Patientinnen und Patienten in der Klinik beginnen. Diesem Prinzip „strike early and strike strong“ schließt sich auch die European Society of Cardiology (ESC) an, wie sie aktuell in einem lesenswerten Statement publizierte.

Was also könnten die Gründe sein, warum noch immer viele Patientinnen und Patienten nach einem Herzinfarkt keine oder eine nicht adäquate lipidsenkende Therapie erhalten? Vermutet werden könnte, dass in Kliniken administrative Hürden, knappe zeitliche Ressourcen und eine fehlende Sensibilisierung der behandelnden Ärztinnen und Ärzte eine Rolle spielen. Außerdem befolgen viele Patientinnen und Patienten die Therapieempfehlungen nur unzureichend oder nicht, weil sie nicht von der Notwendigkeit überzeugt und/oder durch Nachrichten aus verschiedenen Quellen verunsichert sind, was z. B. die Verträglichkeit von Statinen angeht. Und nicht zuletzt mangelt es vielerorts am Austausch zwischen den Ärztinnen und Ärzten in den Kliniken und den die Behandlung weiterführenden Kolleginnen und Kollegen und der Abstimmung untereinander. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht alle Fachgesellschaften die ESC/EAS-Leitlinien und die darin empfohlenen LDL-Zielwerte mittragen.

Aktuell publizierte Daten des PROCYON Surveys, bei dem 109 Allgemeinmediziner, Internisten und Kardiologen sowie 1.696 Patientinnen und Patienten mit einer Hypercholesterinämie online befragt wurden, zeigen eine unzureichende Umsetzung der aktuellen ESC/EAS-Leitlinien hinsichtlich der LDL-C-Zielwerterreichung und der Eskalation der lipidsenkenden Therapie. Außerdem werden zu selten Spezialisten konsultiert und nur bei rd. 30 Prozent der Patientinnen und Patienten ist ein gutes bzw. sehr gutes Wissen über ihre Erkrankung vorhanden.

Die „Auf Ziel“-Kampagne der DGFF (Lipid-Liga) setzt an verschiedenen Stellen an. In ganz Deutschland werden interdisziplinäre Netzwerke bestehend aus Ärztinnen und Ärzten verschiedener Fachrichtungen aus Klinik und ambulantem Bereich, Repräsentantinnen und Repräsentanten von Institutionen im Gesundheitssektor sowie Patientenorganisationen ins Leben gerufen. Durch Netzwerken, also  Wissenstransfer, Erfahrungsaustausch und Kooperation, soll es gelingen, einerseits die Behandlung von Dyslipidämien bei kardiovaskulären Hochrisikopatientinnen und -patienten bundesweit zu optimieren und diese andererseits stärker einzubinden, zu überzeugen, also „mitzunehmen“ und sie zum Anwalt ihrer LDL-C-Zielwerterreichung zu machen. Und genau dies untersucht und betont die Studie „Deutschland auf Ziel“.

Anschub-Finanzierung der Studie „Deutschland auf Ziel“

Die Studie wird vom DGK-Zentrum für kardiologische Versorgungsforschung gefördert. Das Exekutivkomitee stimmte dem „klinisch bedeutsamen Projekt“ einstimmig zu. Ferner erhielt das Projekt „Intensive lipidsenkende Therapie zur frühzeitigen Erreichung der Leitlinien-gerechten LDL-Cholesterinwerte bei Patienten mit ST-Hebungsinfarkt in Deutschland („Deutschland auf Ziel”)“ Ende letzten Jahres den Förderpreis der Gerrit Meyer & Eka Meyer-Lausch-Stiftung für ein herausragendes Projekt zur kardiovaskulären Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, den die DŸAŸCH-Gesellschaft verleiht. Frau Dr. Umidakon Makhmudova nahm den Preis entgegen. Ihre Publikation in Clinical Research in Cardiology findet man hier.