Hintergrund

Pflanzensterole wie Sitosterol, Campesterol und Stigmasterol (insgesamt auch als Xenosterole bezeichnet) sind essentielle Membranbestandteile von Pflanzenzellen mit Funktionen, wie man sie von Cholesterin im tierischen Organismus kennt. Unsere heutige Ernährung – die sogenannte Western Diet – enthält Pflanzensterole und Cholesterin in nahezu gleicher Menge. Die chemische Struktur der Phytosterole unterscheidet sich von der des Cholesterins, was bei Säugetieren dazu führte, dass sie einen komplexen Mechanismus entwickelten, der ihre Aufnahme minimiert. Gleichzeitig führt dieser Mechanismus auch zur Senkung des Cholesterinspiegels.

Pflanzensterole konkurrieren im Darm mit Cholesterin um die Aufnahme in Mizellen, also die für die intestinale Resorption wichtige Form. Beide benötigen für die Aufnahme in Mizellen das Niemann-Pick C1-like 1 protein (NPC1L1). Sind viele Pflanzensterole verfügbar, wird entsprechend weniger Cholesterin in die Enterocyten aufgenommen, was zu einer geringerer Cholesterinkonzentration im Plasma führt. Die Nutzung dieses Prinzips war eine der ersten Therapien bei Hyperlipidämien und führte auch zur Zulassung von mit Pflanzensterolen angereicherten funktionellen Lebensmitteln.

Im Enterocyten wird Cholesterin (nicht aber Pflanzensterole) verestert und in Chylomikronen verpackt in die Lymphbahn abgegeben. Nicht veresterte Pflanzensterole und „überschüssiges“ Cholesterin hingegen transportiert der ATP-binding cassette transporter (ABCG5/ABCG8) aktiv zurück ins Darmlumen, und sie werden ausgeschieden. Dieser die Aufnahme von Pflanzensterolen weitgehend verhindernde Transportmechanismus führt zu einer 1000-fach geringeren Plasmakonzentration an Pflanzensterolen im Vergleich zur Cholesterinkonzentration und wird als Schutzmechanismus verstanden.

Ist es aber sinnvoll, mit der Zufuhr von Substanzen, gegen deren Aufnahme sich unser Körper schützt, den Cholesterinspiegel zu senken?

Diese Frage erhielt Auftrieb u. a. durch die Erforschung der Sitosterolämie, einer seltenen Erkrankung aufgrund eines genetischen Defekts am ABCG5/8. Bei diesen Patienten ist die Plasmakonzentration an Pflanzensterolen bis zum 40fachen erhöht. Aus Studien ist bekannt, dass Sitosterolämiepatienten häufiger eine frühe Atherosklerose entwickeln und früher an kardiovaskulären Komplikationen sterben. Daraus nährte sich die Vermutung, dass Pflanzensterole per se atherogen sind.

Genau dem gingen Helgadottir et al. in ihrer im European Heart Journal 41/2020 publizierten Studie nach. Ziel war es zu untersuchen, ob unterschiedliche Absorptionsraten von Nahrungscholesterin und Pflanzensterolen das Risiko für koronare Gefäßerkrankungen (coronary artery disease; CAD) beeinflussen. Dafür analysierten sie die von einer Kohorte aus gesunden Individuen aus Island, Dänemark und Großbritannien gesammelten genetischen Daten und selektierten Personen mit genetisch bedingt reduzierter Funktion des ABCG5/8 (105.470 Fälle vs. 844.025 Probanden in der Kontrollgruppe). Das führte zu einer gesteigerten Resorption sowohl von Cholesterin als auch von Phytosterolen. Die Autoren fanden heraus, dass ABCG5/8-Varianten aufgrund ihrer Regulationsfunktion für non-HDL-Cholesterin für rd. 62 % des Risikos für koronare Gefäßerkrankungen verantwortlich sind. Die restlichen rd. 38 % gingen auf das Konto von Veränderungen bei Pflanzensterolen, d. h. diese spielen bei der Pathogenese der Atherosklerose eine Rolle.

Die Autoren schreiben in ihrer „Translational perspective“

The importance of dietary cholesterol absorption in the regulation of cholesterol levels in blood and the risk of coronary artery disease (CAD) has been the subject of controversy. We find that sequence variants that decrease the function of the ABCG5/8 transporter increase absorption of both cholesterol and phytosterols and increase the risk of CAD. The findings provide mechanistic insights indicating harmful effects of dietary cholesterol on cardiovascular disease. We also find that the impact of ABCG5/8 variants on the risk of CAD is not fully explained by non-HDL cholesterol. Thus, in addition to dietary cholesterol other dietary sterols such as phytosterols may contribute directly to atherogenesis, raising questions about the safety of supplementing food with phytosterols for the purpose of cardiovascular risk reduction.

Weiter gedacht …

Diese Erkenntnisse unterstützen die Entwicklung personalisierter Therapiekonzepte. Bekanntlich zeigen sich genetisch bedingt große interindividuelle Unterschiede bei der Cholesterinresorption. So gibt es High-Resorber für (Chole-)Sterol, deren endogene Cholesterinsynthese gering ist und umgekehrt. Entsprechend ist Ezetimib, das die Cholesterin- und Pflanzensterol-Resorption durch die Blockade des NPC1L1 hemmt, bei High-Resorbern effektiver. Statine hingegen, die die endogene Cholesterinsynthese hemmen, sind wirksamer bei Low-Resorbern, bei denen diese erhöht ist. Mit Blick auf die Ergebnisse der Studie von Helgadottir et al. könnte eine detaillierte Analyse der die Cholesterin-Homöostase regulierenden Gene die Risikostratifizierung von KHK-Patienten verbessern und eine personalisierte Ernährungs- und Lipidtherapie ermöglichen.

 

Die Publikation von Helgadottir et al im European Heart Journal finden Sie hier.

Den Pfad zum Editorial von O. Weingärtner, S. B. Patel und D. Lütjohann finden Sie hier.

Zum Podcast der drei Autoren geht es hier.

Ein Video-Interview von Dr. Kári Stefánsson mit Dr. Hilma Hólm, deCODE genetics, finden Sie hier.